In der anglikanischen Kirche beginnt das Kirchenjahr wie in allen Kirchen des Westens am ersten Adventssonntag, dem vierten Sonntag vor Weihnachten.

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Mein persönliches Highlight in der Advents- und Weihnachtszeit in der anglikanischen Kirche ist der Besuch eines traditionellen musikalischen Gottesdienstes, dem „Festival of Nine Lessons and Carols“.

Das „Festival of Nine Lessons and Carols“ ist ein Gottesdienst, der traditionell am Heilligen Abend gefeiert wird. In diesem Gottesdienst werden abwechselnd neun Weihnachtslieder, die „Carols“, von einem Chor gesungen und neun biblische Lesungen, die „Lessons“, vorgetragen. Orgelmusik rahmt den feierlichen Gottesdienst und nach einer traditionellen Liturgie werden zwischendurch Kirchenlieder, die „Hymns“, gesungen, in die auch die Gemeinde einstimmt.

Die Hauptintention hinter den Liedern und Lesungen ist es einen Bogen zu zeichnen, der die gesamte Heilsgeschichte umfasst: Vom Anbeginn der Schöpfung und dem Fall der Menschheit über die Verheißungen der Propheten bis zur Geburt des Erlösers.

Der Ablauf der „Nine Lessons and Carols“ geht liturgisch wohl auf die Matutin, das zwischen Mitternacht und den frühen Morgenstunden zu verrichtende Stundengebet mit seinem festen Ablauf von Psalmen, Lesungen und Responsorien, zurück. Im Jahr 1880 wurde dieses für einen „Festal Service for Christmas Eve“ angepasst, der aus „nine carols and nine tiny lessons” bestand – also fast 40 Jahre bevor die „Lessons and Carols“ 1918 zum ersten Mal in der Kapelle des King’s College, Cambridge veranstaltet wurden.

Dieses erste „Festival of Lessons and Carols“ wurde vom ersten Bischof von Truro (Cornwall), dem späteren Erzbischof von Canterbury, Edward White Benson (1829-1896), in einer vorläufig erbauten Holzkirche, abgehalten. Die ursprüngliche Idee für diese Art des Gottesdienstes geht aber wohl auf H. H. S. Walpole, den späteren Bischof von Edinburgh, zurück.

Heute ist das „Festival of Nine Lessons and Carols“, das seit 1918 am Heiligen Abend in der King’s College Chapel in Cambridge stattfindet, am bekanntesten. Seit 1919 ist der Ablauf im Wesentlichen unverändert geblieben. Der Gottesdienst beginnt in der mit Kerzen beleuchteten Kirche mit dem Kirchenlied „Once in royal David’s city“. Es folgen Gebet, Vaterunser und dann jeweils neun Mal eine biblische Lesung gefolgt von einem Weihnachtslied. Die Lesungen entstammen der Genesis (erste Lesung: Gen 3,8-15 und 17-19; zweite Lesung: Gen 22,15-18), den Propheten (dritte Lesung: Jes 9,2 und 6-7; vierte Lesung: Jes 11,1-3a, 4a, 6-9) und den Evangelien (fünfte Lesung: Lk 1,26-35, 38; sechste Lesung: Lk 2,1, 3-7; siebte Lesung: Lk 2,8-16; achte Lesung: Mt 2,1-12; neunte Lesung: Joh 1,1-14). Die nach jeder Lesung gesungenen Weihnachtslieder wechseln jährlich, den Abschluss bildet alljährlich „Hark! The Herald Angels Sing“.

Inzwischen haben auch evangelische und katholische Kirchen die Tradition der „Lessons and Carols“ übernommen und gestalten schon während der Adventszeit die sogenannten „Advent Carol Services“, musikalische Adventsgottesdienstes nach anglikanischem Vorbild.

Die „Nine Lessons and Carols“, die seit 1918 jährlich in der Kapelle des King’s College zu hören sind, werden seit 1928 (bis auf 1930) ununterbrochen von der BBC übertragen und international vom ‘BBC World Service’ gesendet und sind anschließend auf der Website der BBC abrufbar.

Vielleicht birgt das Weihnachtsfest unter Corona-Regeln die Möglichkeit, sich online diese anglikanische Weihnachtstradition ins eigene Wohnzimmer zu holen und mit einzustimmen in:

Hark! the herald-angels sing

Glory to the new-born King.  

 

 

Ansprechpartnerin

Pfrin. Dr. Miriam Haar
Wissenschaftliche Referentin für Anglikanismus und Weltökumene

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